Frühlingsfunkeln

von Clara Schaksmeier

„Berlin ist eine graue Stadt.“, sagt Kim leicht genervt als wir durch den Anita Berber-Park stapfen. Es ist März und in der Tat, noch scheint der Frühling im Winterschlaf zu sein. „Das stimmt, und stimmt auch nicht.“, entgegne ich als Freundin und Kiez-Guide. „Kennst du Berlin am ersten Frühlingstag?“ They ist auf Durchreise in Berlin, neugierig auf die Stadt und schüttelt den Kopf. „Nein. Berlin im Frühling kenne ich nicht.“ Wir schlendern weiter, den Matschpfützen ausweichend, im Slalom Richtung Feld. Eine Windböe jagt uns ins Gesicht und wir ziehen uns unsere Schals noch ein wenig weiter über die Ohren.

„Der erste Frühlingstag in Berlin ist magisch.“, sage ich und spüre, wie ich lächeln muss. „Ein Funkeln weckt die Stadt. Du kennst ja den Fernsehturm, mit seiner verspiegelten Kugel.“
Kim nickt. „Für mich ist es die größte Diskokugel der Stadt. Vielleicht sogar der Welt. Eine, die die Menschen freundlich erinnert: ‚Du bist hier. Hier bist du richtig. Du bist richtig.’ Im Winter kann man sie kaum sehen, man vergisst sie fast. So wie man auch die Zuversicht an hellere Zeiten schnell vergessen kann.“ Kim und ich betreten die Landebahn des Feldes und stellen fest, dass der Fernsehturm mit seiner Diskokugel sich auch heute im grauen Nebel versteckt.

„Am ersten Frühlingstag bahnt sich die Sonne sich ihren Weg in die Stadt, trifft die Kugel, und strahlt von dort in jeden Winkel. So tanzt am ersten Frühlingstag ein ganz besonderes Funkeln durch die Straßen; über den Kottbusser Damm, die Hasenheide, das Tempelhofer Feld bis hin zur Hermannstraße. Manche der geduckt laufenden grau-gewöhnten Menschen blicken ungläubig von ihren nassen Schuhspitzen hinauf. Ist es das - das Glitzern dieser Stadt? Ja. Lange hatten sie es vergessen, doch nun spüren sie es auf ihrer Nasenspitze kribbeln. Eine Erinnerung wird wach. An Leichtigkeit und Zuversicht. An das Wissen um die Farben in der Welt. Und immer mehr Menschen beginnen, ihren Blick zu heben, sie schauen sich um, manche lächeln sanft. Tag für Tag und nach und nach weicht das Grau einem zarten Himmelblau.
Grüne Sprösslinge keimen aus den braunen Ästen am Wegesrand. Über Nacht wird auf den Rasenflächen der Stadt von unsichtbarer Hand ein violetter Teppich aus Krokussen ausgerollt.

Das dumpfe Platschen von Stiefelsohlen durch Regenpfützen weicht dem sanften Knirschen von Turnschuhen auf Kies. Die Stühle vor den Cafés füllen sich mit selig lächelnden Gesichtern, die sich zur Sonne wenden. Es riecht nach Kaffee in To-Go Bechern und Neuanfang. Die Menschen können nicht genug von der sanften Wärme auf ihrer Haut bekommen. Sie schauen auf die Farben, auf das Strahlen und vor allem schauen sie sich wieder in die Augen. Und passiert dies, dann beginnt noch etwas anderes zu funkeln. Eine tiefe Zuversicht und Verbundenheit. Wir sind hier. Hier sind wir richtig. Wir sind richtig.“

Kim und ich sind bei den Gärten auf dem Feld angekommen. Plötzlich bleibt they stehen und greift meinen Arm. Wir blicken auf den Fernsehturm und werden Zeug*innen, wie der erste Sonnenstrahl durch das Grau bricht und auf die Kugel trifft. Wir lächeln uns an und es beginnt zu funkeln. 

Neukölln ist für Clara Schaksmeier zu einem geliebten Zuhause geworden. Als Heilpraktikerin für Psychotherapie begleitet die ehemalige Lehrerin Menschen traumasensibel zur inneren Sanftheit. Außerdem schreibt sie. 2023 erschien ihr international erfolgreiches Kinderbuch „Heute geh ich in die Schule - So lernen Kinder rund um den Globus" (Knesebeck Verlag). Persönliche Essays wurden und werden in Anthologien bei park x ullstein und Diogenes Tapir veröffentlicht. Am liebsten verbringt sie die Frühlingstage in den verwunschenen Gärten des Tempelhofer Feldes.

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